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Pro-Ana und Pro-Mia: Magertrend im Internet

Wie Jugendliche mit Essstörungen Online-Plattformen und Soziale Netzwerke nutzen

Sie bezeichnen sich selbst als „Pro-Ana“ oder „Pro-Mia“ und suchen im Internet nach Gleichgesinnten: Jugendliche, zumeist junge Mädchen, die an Essstörungen leiden und ihre Krankheit als „Lifestyle“ interpretieren. Magerfotos im Internet dienen für viele als Maßstäbe für Schönheit und Attraktivität. Insbesondere Online-Trends wie die „Thigh Gap“ können die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper noch verstärken und Essstörungen begünstigen. Längst finden Betroffene auf einschlägigen Online-Plattformen nicht mehr nur Diät- oder Motivationstipps, sondern organisieren sich immer häufiger auch über geschlossene Gruppen in Messenger-Diensten wie WhatsApp oder Kik. Unbemerkt von den Eltern oder dem Freundeskreis spornen sich die Jugendlichen hier gegenseitig zur Einhaltung von strengen Diät-Regeln an. Nicht selten wird diese Anonymität aber auch von Pädophilen ausgenutzt, um als „Pro-Ana-Coaches“ an freizügige Fotos der verzweifelten Mädchen zu gelangen.

Downloads:
Beispielsammlung zu Pro-Ana/Pro-Mia im Internet (pdf, 3 MB)
Essstörungen: Informationsangebote und Beratungsstellen (pdf, 148 KB)

Wien, 12. November 2015 – Lisa und Lena , 13 und 15 Jahre alt, sind sich noch nie persönlich begegnet. Seit einigen Wochen sind die beiden Mädchen Mitglied in einer privaten WhatsApp-Gruppe, in der es nur um eines geht: so wenig wie möglich zu essen. Wie die anderen Jugendlichen in der Gruppe möchten Lisa und Lena unbedingt abnehmen und fühlen sich von ihren Eltern und Schulfreund/innen unverstanden. Täglich teilen sie einander per Chat ihr aktuelles Gewicht mit und posten regelmäßig Fotos des eigenen Körpers – meist nur dürftig bekleidet. Disziplin ist dabei das oberste Gebot: Als Lisa mehrmals die strengen Ernährungsvorschriften missachtet, fliegt sie aus der Gemeinschaft.

Lisa und Lena  sind „Ana“ bzw. „Mia“. Der Begriff „Ana“ ist eine Abkürzung für Anorexia Nervosa (Magersucht), „Mia“ steht für Bulimia Nervosa (Ess-Brech-Sucht). Beide Krankheitsbilder fallen in den Bereich der Essstörungen. Betroffene Jugendliche suchen oft Halt in der „Pro-Ana“- bzw. „Pro-Mia“-Bewegung im Internet. Auf den einschlägigen Online-Plattformen müssen sie sich nicht verstecken, sondern finden Anschluss zu anderen essgestörten Personen mit ähnlichen Zielen. So entsteht eine Ersatzgemeinschaft, in der pathologisches Essverhalten nicht nur akzeptiert, sondern sogar unterstützt und honoriert wird. Gleichzeitig versuchen die Betroffenen, die Krankheit vor ihren Eltern, Lehrenden oder Freund/innen zu verheimlichen.

Obwohl immer häufiger auch Männer von Essstörungen betroffen sind, wird „Pro-Ana“ in erster Linie von Mädchen und jungen Frauen getragen. Wie viele Personen sich tatsächlich zur Pro-Ana-Szene zugehörig fühlen, kann aufgrund der hohen Anonymität innerhalb der Foren und Gruppen nicht eindeutig mit Zahlen belegt werden.


Ana, die falsche Freundin aus dem Netz

Der Begriff „Ana“ ist nicht nur der Name des Magertrends selbst, sondern taucht in vielen einschlägigen Foren und Blogs auch als abgemagerter, freundschaftlicher Charakter auf. Ein Beispiel hierfür ist „Anas Brief“ – ein tausendfach im Internet geteilter Text, in dem die Krankheit einerseits ihre „Freundschaft“ anbietet, andererseits aber bei Missachtung der aufgestellten Diätvorschriften mit Konsequenzen droht. Viele Betroffene widmen sich der Pro-Ana-Bewegung mit beinah religiösem Eifer – die in der Gemeinschaft geltenden Regeln werden mitunter als „Anas Gebote" bezeichnet.


Blogs als Kontaktbörse, Gruppen als Kontrollinstanz

„Pro-Ana“ ist im Internet kein ganz neues Phänomen. Schon vor der Jahrtausendwende entstanden zahlreiche Foren und Websites, über die Magersüchtige Diättipps austauschten und sich gegenseitig zum Abnehmen motivierten. Auch heute noch tragen viele essgestörte Menschen ihre Krankheit auf öffentlich zugänglichen Portalen wie Tumblr, YouTube und Instagram nach außen. Mit zunehmender Popularität von Sozialen Netzwerken wie Facebook, WhatsApp oder Kik hat sich aber ein Großteil der Pro-Ana-Kommunikation in geschlossene Gruppen verlagert.

In den meisten Fällen kommen betroffene Jugendliche erstmals über eine einfache Internetsuche mit einschlägigen Angeboten in Berührung. Diese fungieren zunächst als Informationsplattform über Pro-Ana, Diätformen, Fitness und Ernährung und werden meist von Nutzer/innen betrieben, die selbst essgestört sind. Diese Plattformen werden in der Folge genutzt, um Kontakte zu Gleichgesinnten zu knüpfen. Oft etablieren sich in den Gästebüchern sogenannte „Twin-Börsen“, in denen Betroffene mithilfe von Kontaktanzeigen gezielt nach „Pro-Ana-Twins“ – Personen mit ähnlichen Körpermaßen und Zielen – suchen. In den Annoncen hinterlassen die Betroffenen in der Regel eine E-Mail-Adresse, Nicknames für Messenger-Dienste oder, seltener, ihre Handynummer. Nach diesem Erstkontakt wird die Kommunikation mit den „Twins“ privat in einem Sozialen Netzwerk fortgesetzt – meist in einer geschlossenen WhatsApp-Gruppe.

„In diesen WhatsApp-Gruppen finden die betroffenen Jugendlichen Zuspruch und Unterstützung, bleiben gleichzeitig aber relativ anonym“, berichtet Barbara Buchegger, pädagogische Leiterin von Saferinternet.at. Die Gruppenmitglieder orientieren sich an selbst auferlegten, strengen Diät- und Sportregeln und tauschen regelmäßig Fotos des eigenen Körpers aus. „Jugendliche haben ihr Smartphone immer mit dabei – durch die Flut an WhatsApp-Nachrichten werden sie ständig an die Pro-Ana-Vorschriften erinnert“, so Buchegger weiter.


„Thinspiration“ als Motivation zum Hungern

Inspiration und Motivation finden Pro-Anas vor allem auf öffentlich zugänglichen Online-Plattformen, allen voran Blogs, Tumblr oder Instagram. Fotos von extrem dünnen Mädchen oder Models sollen zum Gewichtsverlust anregen und das eigene Durchhaltevermögen bestärken („Thinspiration“ oder „Thinspo“). Die Suche nach Thinspiration-Bildern im Netz ist mehr als einfach: Wer in Sozialen Netzwerken einschlägige Hashtags eingibt, findet Bilder, die zusätzlich mit dutzenden anderen Schlagwörtern versehen oder auf weitere Blogs oder Websites verlinkt sind.

Allein im Foto-Netzwerk Instagram wurden unter dem Hashtag #ana mehr als 9,5 Millionen Beiträge gepostet, unter #anorexia sind es knapp 4,4 Millionen. Instagram und Tumblr haben reagiert: Wer nach einschlägigen Hashtags sucht, bekommt neben einer Warnung vor verstörenden Inhalten auch Beratungsangebote für Menschen mit Essstörungen angezeigt, zusätzlich sind einige Hashtags gänzlich gesperrt. Allerdings umgehen viele Betroffene diese Maßnahmen, indem sie die verwendeten Hashtags leicht abwandeln (z.B. #proanna statt #proana).

Die Video-Plattform YouTube spielt für Pro-Anas ebenfalls eine wichtige Rolle: In zahlreichen „Thinspiration“-Videos auf YouTube werden Essstörungen verherrlicht und die Folgen für Körper und Psyche verharmlost. In „Ratgeber“-Videos geben Betroffene zudem praktische Tipps zum Umgang mit dem ständigen Hungergefühl.


„Thigh Gap“ und „Collarbone Challenge“: Schönheitsideale im Internet

In der Pro Ana-Szene haben sich gefährliche Schönheitsideale etabliert, die vor allem über Bilder in Sozialen Netzwerken transportiert werden. Ein Beispiel ist die „Thigh Gap“: Die Oberschenkel dürfen sich bei geschlossenen Beinen nicht berühren – Fotos von der so entstandenen Lücke machen im Netz millionenfach die Runde. Ein ähnlicher Kult rankt sich um die sogenannte „Bikini Bridge“ – also den Abstand zwischen Bikinihöschen und Bauch, der bei extrem dünnen Menschen zu sehen ist, wenn sie auf dem Rücken liegen.

Zusätzlich verstärkt wird der Magertrend im Internet von sogenannten „Challenges“ – regelgeleiteten Herausforderungen, denen sich Jugendliche stellen indem sie die „Beweisfotos“ stolz im Internet teilen. Zwei Beispiele: Bei der „Belly Button Challenge“ wird versucht, mit einem Arm den Rücken zu umschlingen und vorne mit den Fingern den Bauchnabel zu berühren. Bei der „Collarbone Challenge“ geht es hingegen darum, möglichst viele Münzen auf den hervorstehenden Schlüsselbeinen zu stapeln.


Pädophile nutzen Pro-Ana-Plattformen aus

Immer häufiger wird im Zusammenhang mit Pro-Ana von selbsternannten „Coaches“ berichtet, die auf den einschlägigen Szene-Blogs ihre Unterstützung beim Abnehmen anbieten. Dabei liegt der Verdacht nahe, dass diese in der Regel männlichen „Trainer“ die Situation der essgestörten jungen Mädchen gezielt ausnutzen, um an kinderpornografisches Material zu gelangen.

Ihre „Dienstleistungen“ bieten die Pro-Ana-Coaches meist in Annoncen auf Blogs oder in Foren an: Auch sie stellen strenge Diätregeln auf und überwachen deren Einhaltung etwa über WhatsApp. „Die Coaches verlangen von ihren ‚Schülerinnen‘ nicht nur absoluten Gehorsam, sondern auch regelmäßig Nacktfotos oder Aufnahmen in aufreizenden Posen“, schildert Barbara Buchegger das Machtgefälle zwischen Coach und Magersüchtigen.

Der Recherche von Saferinternet.at zufolge sind es oft die Pro-Ana-Anhänger/innen selbst, die in Kontaktanzeigen nach einem privaten Pro-Ana-Trainer suchen. Viele sind sich dabei auch der Gefahr durch pädophile Coaches bewusst: Immer wieder wird in den Twin-Börsen davor gewarnt, Nacktfotos an vermeintliche „Coaches“ zu verschicken.


Weiterführende Informationen und Beratungsstellen:

  • Wiener Initiative gegen Essstörungen: Beschreibung des Krankheitsbildes, Risiko- und Schutzfaktoren, Präventionsangebote, kostenlose und anonyme Beratung: www.essstoerungshotline.at

    Essstörungs- Hotline: 0800 20 11 20 (Montag bis Donnerstag, 12-17 Uhr, kostenlos und anonym

    E-Mail-Beratung:hilfe@essstoerungshotline.at

    Kontaktliste:Beratungsstellen in ganz Österreich
     
  • 147 Rat auf Draht: Notruf für Kinder, Jugendliche und deren Bezugspersonen – rund um die Uhr, anonym, kostenlos. Per Telefon (147 ohne Vorwahl), Online-Beratung oder Chat (jeden Freitag, 18-20 Uhr): www.rataufdraht.at
     
  • Zentrum für Essstörungen: Beratung und Information für Frauen mit Ess- und Gewichtsproblemen sowie deren Angehörige: www.essstoerungen.cc

    E-Mail-Beratung:zentrum.fuer@essstoerungen.cc
     
  • Ess-Stoerungen.at: Informationen zu Formen von Essstörungen, Sammlung von Links und Informationsmaterialien: www.ess-stoerungen.at
     
  • Netzwerk Essstörungen: Erstinformation und Beratung für Betroffene und Angehörige in Innsbruck: www.netzwerk-essstoerungen.at
     
  • Sowhat.at: Beratungs- und Informationszentrum für Essstörungen in Wien, Mödling und St. Pölten sowie Therapieangebote für Menschen mit Essstörungen: www.sowhat.at
     
  • Intakt.at: Therapiezentrum für Menschen mit Essstörungen mit Online-Beratung (jeden Montag, 17:00 – 19:00 Uhr): www.intakt.at
     
  • Institut Suchtprävention Pro Mente: Informationen zu Essstörungen sowie zu Risiko- und Schutzfaktoren: www.praevention.at

    Download: Handbuch „x.act Essstörungen“ (pdf, 1.6 MB) für Pädagog/innen


Über Saferinternet.at
Saferinternet.at unterstützt Kinder, Jugendliche, Eltern und Lehrende bei der sicheren Nutzung des Internet und liefert hilfreiche Tipps und Hilfestellungen zu Themen wie Soziale Netzwerke, Datenschutz, Jugendschutz, Computerspiele, Online-Shopping, Virenschutz, Medienerziehung etc. Die Initiative wird vom ACR-Mitglied Österreichischen Institut für angewandte Telekommunikation (ÖIAT) in Kooperation mit dem Verband der Internet Service Providers Austria (ISPA) koordiniert und in Zusammenarbeit mit der öffentlichen Hand, NGO und der Wirtschaft umgesetzt. Die Finanzierung erfolgt durch die Europäische Union, das Bundesministerium für Familien und Jugend, das Bundesministerium für Bildung und Frauen sowie A1, Facebook und Huawei. Detaillierte Informationen zu allen Aktivitäten von Saferinternet.at gibt es unter www.saferinternet.at. Für Fragen und Anregungen zu Saferinternet.at können sich Interessierte per E-Mail an office@saferinternet.at wenden.


Rückfragen:

Saferinternet.at
DIin Barbara Buchegger, M.Ed. oder Marlene Kettinger, MA
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office@saferinternet.at